Ein Interview mit dem ärztlichen Leiter Dr. Josef Wolff
Der verantwortungsvolle Umgang mit unseren begrenzten Ressourcen ist zweifellos eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Das gilt auch für die Gesundheitsbranche. Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim hat sich entschlossen, innovative Wege zur Nachhaltigkeit zu beschreiten und zeigt damit eindrucksvoll auf, wie medizinische Einrichtungen einen positiven Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten können.
- Einleitung
- Mehr als nur Einweg: chirurgisches Besteck
- Pilotprojekt: bis zu 100-fache Wiederverwendung möglich?
- Hoher CO2-Fußabdruck bei herkömmlichen Einmalinstrumenten
- Der Weg zu einer nachhaltigeren Mülltrennung
- Kontaminierte Abfälle stellen größte Herausforderung dar
- Ein Blick auf Single-Use-Shooter und die Verpackungsproblematik
- QR-Codes anstelle von papierhaften Gebrauchsanweisungen
- Abfallmanagement bei Grauer Star OP: Evaluierung unterschiedlicher Schlauchsysteme
- Inspiration für mehr Nachhaltigkeit im Alltag
- Der „Grüne Oskar“: eine Auszeichnung für nachhaltige Ideen
- Drei Säulen für eine nachhaltigere Welt
Mehr als nur Einweg: chirurgisches Besteck
Ein Beispiel, welches das Nachhaltigkeitsbewusstsein des ARTEMIS Augenzentrums Heppenheim verdeutlicht, betrifft chirurgisches Besteck – genauer gesagt sogenannte Phakolanzen. Diese werden bei Eingriffen am Auge, wie beispielsweise der Grauer Star-Operation, zur Öffnung der Augenvorderkammer verwendet. Dr. Josef Wolff, ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des ARTEMIS Augenzentrums Heppenheim, erklärt: „Üblicherweise werden diese Messer mitsamt Plastikschutzkappe nach einmaliger Verwendung entsorgt. In einer einzigen Operation werden sogar gleich zwei dieser Lanzen verwendet – eine für den Hauptschnitt und eine weitere für Zusatzschnitte.“
„Angesichts der Tatsache, dass jährlich etwa 900.000 Grauer Star-Operationen in Deutschland durchgeführt werden, ergibt sich hieraus eine exorbitante Menge von rund 1,8 Millionen weggeworfenen Einweglanzen, und das nach nur einem Gebrauch. Es ist jedoch erfreulich zu sehen, dass einige Einrichtungen bereits sogenannte „Reusable-Lanzen“ einsetzen, die 10- bis 20-mal – nach validiertem Sterilisationszyklus – wiederverwendet werden können.“
Pilotprojekt: bis zu 100-fache Wiederverwendung möglich?
Für Dr. Wolff ist das jedoch erst der Anfang der Reise. Gegenwärtig arbeitet das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim in Kooperation mit dem Mannheimer Unternehmen 1stQ an einem spannenden Pilotprojekt. Dabei steht die Bewertung eines vergleichbaren Instruments im Mittelpunkt. Dr. Wolff erläutert: „In den 90er Jahren waren Lanzen mit einem Metallkorpus und einem Diamantkopf weit verbreitet, mit Kosten pro Stück von etwa 1.000 Euro. Gemeinsam mit unserem Projektpartner evaluieren wir momentan ein neues Produkt aus der Schweiz, das anstelle eines echten Diamanten einen synthetischen Diamanten verwendet und somit auch preislich attraktiver ist. Das Besondere daran ist, dass wir momentan davon ausgehen, dass dieses Instrument bis zu 100-mal – wenn nicht sogar häufiger – wiederverwendet werden kann.“
„Natürlich stellen sich hierbei einige wichtige Fragen, wie zum Beispiel die Handhabung des Instruments oder die Nachhaltigkeit des Aufbereitungsprozesses, denn bei diesem Produkt handelt es sich um ein semikritisches Instrument, das einem Sterilisationskreislauf unterzogen werden muss. Dennoch überwiegen für mich auf den ersten Blick die Vorteile der deutlich längeren Nutzungsdauer.“
Hoher CO2-Fußabdruck bei herkömmlichen Einmalinstrumenten
Ein weiterer zentraler Aspekt in diesem Zusammenhang ist der Carbon Footprint, der durch die Herstellung und den Transport von chirurgischen Einmalinstrumenten entsteht. Dr. Wolff erklärt: „Rund 90% der herkömmlichen Einmalinstrumente kommen aus Asien, was zu erheblichen CO2-Emissionen führt. Wir fokussieren unsere Anstrengungen daher auf die Zusammenarbeit mit regionalen Anbietern, um den CO2-Fußabdruck auf ein Minimum zu reduzieren.“
Der Weg zu einer nachhaltigeren Mülltrennung
Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim zeigt sich auch im Bereich der Mülltrennung fortschrittlich. Bereits im Jahr 2014 hat das Unternehmen damit begonnen, den anfallenden, nicht kontaminierten OP-Müll in verschiedene Kategorien zu trennen. Dr. Wolff betont: „Wir sorgen dafür, dass der OP-Müll ordnungsgemäß in Restmüll, Kunststoffabfälle, Glas und Altpapier getrennt wird – bis hin zum kleinsten Schnipsel. Interessanterweise zeigen jedoch Umfragen von Prof. Findl aus Österreich, dass nur etwa 50% der befragten Kliniken diesen Trennungsvorgang durchführen.“
Kontaminierte Abfälle stellen größte Herausforderung dar
Die größte Herausforderung liegt im Umgang mit kontaminierten Abfällen. Denn: Der überwiegende Anteil der verwendeten OP-Materialien ist kontaminiert, wodurch diese nach derzeitiger Gesetzeslage für das Recycling ungeeignet sind. Als Beispiel sei die klassische Spritze – hier 10 ml – genannt: Mit Umverpackung wiegt sie etwa 9 Gramm, wovon etwa 1 Gramm auf die Verpackung entfällt, die in der Regel nicht kontaminiert ist und daher getrennt werden kann. Die übrigen 8 Gramm – die reine Spritze also – werden während des Eingriffs verwendet und sind kontaminiert, weshalb sie nicht recycelbar sind und somit im Restmüll landen, was wiederum hohe Entsorgungskosten und eine erhebliche CO2-Belastung mit sich bringt.
Dr. Wolff hat das klare Ziel, kontaminierten OP-Abfall in Zukunft vollständig zu recyceln. Dies ist aufgrund der Verordnung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) gegenwärtig jedoch nicht möglich. In enger Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Abfallunternehmen arbeitet das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim daher aktuell an einem Pilotprojekt. Die Grundidee sieht vor, dass der gesamte OP-Abfall zunächst thermisch desinfiziert und anschließend in einer speziellen Anlage automatisch getrennt wird. Diese LAGA-konforme Vorgehensweise würde dazu führen, dass ein Großteil der verwendeten Einmal-OP-Materialien anschließend wieder einer Verwertung zugeführt werden kann.
Ein Blick auf Single-Use-Shooter und die Verpackungsproblematik
Auch bei sogenannten Single-Use-Shootern sieht Dr. Wolff Optimierungspotenzial. Dabei handelt es sich um „pre-loaded“, also vorgeladene Systeme, die bei der Implantation von Intraokularlinsen (IOL) zum Einsatz kommen – das sind Kunstlinsen, die anstelle der körpereigenen Linse in das Auge implantiert werden. „In diesem Bereich gibt es viele verschiedene Anbieter mit teils sehr unterschiedlichen Verpackungen“, erklärt Dr. Wolff und ergänzt: „Sowohl hinsichtlich des Verpackungsmülls und der Größe der angebotenen Single-Use-Shooter, als auch in Bezug auf die Transportwege und somit den CO2-Fußabdruck besteht erhebliches Einsparpotenzial. Hier ist die Industrie gefordert, sicherzustellen, dass von Anfang an weniger Müll produziert wird.“
QR-Codes anstelle von papierhaften Gebrauchsanweisungen
„Es geht aber noch weiter, denn zu jeder Linse bzw. zu jedem Medizinprodukt gibt es in der Regel ein großes ausgedrucktes Booklet, die sogenannten „instructions for use“, kurz IFU. Diese papierhaften Gebrauchsanweisungen könnten ganz einfach durch QR-Codes auf den Verpackungen ersetzt werden, was nicht nur kostengünstiger in der Produktion wäre, sondern auch den Carbon Footprint deutlich reduzieren würde. Leider bezieht ein Großteil der Praxen bzw. Kliniken noch immer unnötig groß verpackte Linsen inklusive Gebrauchsanweisungen in Papierform, die letztendlich direkt im Müll landen. Das ist eine enorme Ressourcenverschwendung.“
Abfallmanagement bei Grauer Star OP: Evaluierung unterschiedlicher Schlauchsysteme
Dr. Wolff sieht noch weitere Ideen und Möglichkeiten, um die Nachhaltigkeit in medizinischen Praxen zu fördern: Bei Grauer Star-Operationen ist beispielsweise die Verwendung von sogenannten Phakomaschinen üblich. Diese Geräte sind mit einer Kassette, einem Schlauchsystem und einem Auffangbeutel ausgestattet. Gegenwärtig ist es Usus, nach jeder Operation sowohl die Schläuche als auch die gesamte Kassette auszutauschen, was zu einem hohen Abfallaufkommen führt.
„Eine nachhaltigere Herangehensweise wäre die Umstellung auf Tageskassetten, die lediglich einmal täglich ausgetauscht werden, während jeweils nur die Schläuche gewechselt werden“, so Dr. Wolff. In Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden gibt es Hersteller, die solche Systeme anbieten und dabei die hygienischen Anforderungen erfüllen. Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim plant, in naher Zukunft auf diese noch nachhaltigeren Systeme umzusteigen und evaluiert derzeit die Angebote von drei verschiedenen Anbietern. Dr. Wolff ermutigt auch andere OP-Zentren, diesen nachhaltigen Ansatz bei ihren Kaufentscheidungen in Betracht zu ziehen.
Inspiration für mehr Nachhaltigkeit im Alltag
Jede Praxis, unabhängig von ihrer Größe, kann Schritte unternehmen, um umweltfreundlicher zu werden und so einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Nachhaltigkeitsmaßnahmen umgesetzt, die als Inspiration und Best-Practice für andere medizinische Praxen dienen können:
- Reduktion des Papierverbrauchs: Papier ist ein ressourcenintensives Material: Allein für die Produktion eines DIN A4-Blattes werden etwa 10 Liter Wasser benötigt. „Wir sparen bereits seit Jahren ca. 90.000 Ausdrucke pro Jahr ein. Hier ist ein erhebliches Potenzial vorhanden, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland über 150.000 niedergelassene Ärzte gibt“, so Dr. Wolff. Ein weiterer Vorteil: Durch den verringerten Betrieb des Druckers kann nicht nur Sondermüll in Form von Tonerkartuschen reduziert, sondern auch Strom gespart werden.
- Digitalisierung von Kommunikation: Eng damit verbunden ist die Digitalisierung von Kommunikation. Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim versendet z. B. Weihnachtsgrüße nicht mehr postalisch, sondern per E-Mail. Dadurch ist der postalische Versand von jährlich rund 250 Postkarten entfallen. Auch die Digitalisierung von Formularen kann die Umweltauswirkungen erheblich reduzieren. Moderne Systeme ermöglichen es, Formulare wie Anamnesebögen, Abtretungserklärungen, Datenschutzerklärungen sowie Honorarvereinbarungen digital anzubieten und rechtssicher elektronisch unterzeichnen zu lassen. Die Einsparung von Papier ist beeindruckend: Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim führt jedes Jahr etwa 4.000 sogenannter IVOM-Behandlungen durch, auch als „Spritze ins Auge“ bekannt. Dabei werden Medikamente zur Behandlung von Netzhauterkrankungen direkt in den Glaskörper des Auges injiziert. Das „Problem“: Für jede IVOM-Behandlung müssen Patienten Einverständniserklärungen unterschreiben, und zwar Formulare mit bis zu 5 Seiten. Darüber hinaus sind für Folgebehandlungen weitere Unterschriften notwendig – eine gigantische Menge an Papier sind die Folge. Bereits 2018 ist das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim den Schritt hin zu digitalen Formularen gegangen, um so diese gewaltigen Mengen an Papier einzusparen.
- Wasserspender statt Wasserkästen: Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim hat zudem seit 2018 Wasserkästen durch insgesamt drei Wasserspender mit Trinkwasseranschluss ersetzt. Diese Umstellung führt allein zur Versorgung der Mitarbeiter zu einer jährlichen Ersparnis von etwa 660 Wasserkästen, was ungefähr einer Ladung eines 40-Tonners entspricht. Im Vergleich: Wasser aus zirkulierenden Pfandsystemen verursacht 1.400-mal mehr CO2.
- Verwendung von umweltfreundlichen Materialien: Des Weiteren setzt das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim anstelle von Plastikbehältern auf Papierbecher für Patienten. Dies sind einfache, aber effektive Maßnahmen, um den Gebrauch von Einwegplastik zu reduzieren und umweltfreundlichere Alternativen zu fördern.
- Optimierter Einsatz der Klimaanlage: Zusätzlich haben Dr. Wolff und sein Team Maßnahmen zur Energieeinsparung umgesetzt, indem sie die Klimaanlage nur an OP-Tagen betreiben. Abends sowie am Wochenende schaltet sich die Praxis-Klimaanlage automatisch ab. Zudem wird darauf geachtet, dass die Temperaturunterschiede im Innen- und Außenbereich – ganz gleich zu welcher Jahreszeit – immer nur maximal 5-6 Grad betragen und damit sowohl für Patienten als auch für die Belegschaft verträglicher sind.
- Vermehrter Einsatz von LED-Leuchten: Außerdem wurden im ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim 90% der Leuchten auf LED umgerüstet, um den Energieverbrauch weiter zu reduzieren.
Der „Grüne Oskar“: eine Auszeichnung für nachhaltige Ideen
Mit der Einführung eines internen Wanderpokals für Nachhaltigkeit, dem „Grünen Oskar“, hat sich das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Der Oskar wird jedes Jahr an die beste nachhaltige Idee verliehen, um Initiativen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks zu belohnen.
Unter den preisgekrönten Ideen war neben der bereits genannten Umstellung auf Wasserspender und dem Verzicht auf postalische Weihnachtsgrüße auch die Idee, Lebensmittel anstelle von Alufolie in Wachsfolie einzupacken. Eine weitere prämierte Initiative betraf die Verwendung von Edelstahlwannen in der Kantine. Diese wurden traditionell mit großen Mengen Alufolie abgedeckt, wodurch etwa eine Rolle pro Woche verbraucht wurde. Das ARTEMIS Augenzentrum Heppenheim entschied sich stattdessen für den Umstieg auf klassische Edelstahlabdeckungen.
Die Einführung des „Grünen Oskars“ zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein wichtiges Anliegen ist, sondern auch Anreize für kreative Ideen schaffen kann. Im Kern zeigt es, dass jeder eine einfache Bestandsaufnahme machen kann, um zu bewerten, wo er oder sie persönlich optimieren kann.
Drei Säulen für eine nachhaltigere Welt
Dr. Wolffs persönliche Vision für eine nachhaltigere Welt basiert auf den drei Säulen „Reduce“, „Reuse“ und „Recycle“. Ihm geht es vor allem darum, im Alltag umweltbewusst zu leben und sich stets zu vergegenwärtigen, wo Müll reduziert, Dinge wiederbenutzt und Recycling optimiert werden können.
Dabei ist Nachhaltigkeit für Dr. Wolff nicht auf den beruflichen Bereich beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf sein Privatleben. Er ist bestrebt, ein Vorbild für nachhaltiges Handeln zu sein und durch kleine Änderungen einen großen Beitrag zur Umwelt zu leisten. Sein Fazit: „Wenn wir nicht beginnen, fängt keiner an.“